Wie Mitbestimmung zu kostenlosem Marketing führen kann
Herr Dr. Zeuch, Im September erscheint Ihr neues Buch über Unternehmensdemokratie, also demokratische Unternehmensführung. Meinen Sie das ernst?
Allerdings.
Können Sie dazu auch noch ein paar Sätze mehr sagen?
Selbstverständlich. Ich widerlege in dem Buch diverse irrationalen Vorurteile gegenüber einem deutlich höheren Maß an Mitbestimmung. Es gibt mehrere Argumente gegen Unternehmensdemokratie, zum Beispiel die Behauptung, demokratische Entscheidungsprozesse wären grundsätzlich langsamer als top-down Entscheidungen. Wenn man sich das genau ansieht, wird schnell klar, dass diese Aussage nur eine Behauptung ist, die leicht widerlegt werden kann. Umgekehrt wird ein Stiefel draus: Wenn jede noch so kleine Entscheidung vom Chef, Chef-Chef oder noch weiter oben getroffen werden muss, dann dauert das länger, als wenn die Entscheidung dort getroffen wird, wo sie fällig ist. Natürlich illustriere ich das alles mit Fallbeispielen.
Das ist nicht wirklich plausibel. Sie wollen doch nicht sagen, dass eine basisdemokratische Entscheidung schneller ist, als wenn der Geschäftsführer sagt, wo es lang geht.
Nein, die Entscheidung selbst natürlich nicht, da müsste ich ja verrückt sein, wenn ich das behaupten würde. Allerdings ist die Entscheidung nur einer der ersten Schritte. Schließlich muss die Entscheidung des Vorstands erstens an alle betroffenen Mitarbeiter kommuniziert werden. Und zwar so, dass die auch verstehen, worum es geht. Alleine das ist schon ziemlich aufwändig, denn Sie müssen ja sicherstellen, dass die Adressaten der Kommunikation wirklich verstanden haben, was Sache ist. Dann ist das Ziel der Entscheidung aber immer noch nicht erreicht, denn dann folgt die Umsetzung. Wenn die Mitarbeiter die Entscheidung aber entweder nicht verstanden haben, sie als sinnlos oder gar schädlich gegenüber den eigenen Interessen erleben, dann werden sie sicherlich nicht treudoof die Entscheidung als Befehlsempfänger sofort umsetzen. Nicht umsonst gibt es das Phänomen der inneren Kündigung, dass häufig mit niederschwelligen Sabotageakten gekoppelt ist.
Dann sind offensichtlich die falschen Mitarbeiter an Bord.
Tja – und wer hat die eingestellt?
Vielleicht haben sie sich ja in der Zeit der Anstellung verändert?
Kann gut sein. Und warum haben sie sich von engagierten, vertrauenswürdigen und intelligenten Bewerbern zu missmutigen, frustrierten Mitarbeitern verwandelt? Sind die alle auf magische Weise im selben Zeitraum in private Krisen geraten, die eine solche Persönlichkeitsveränderung hervorgerufen haben? Oder wäre es nicht viel plausibler, dass sie durch ihre Arbeit und die Unternehmenskultur über die Jahre frustriert worden sind? Zum Beispiel weil der Geschäftsführer Entrepreneurship von seiner Belegschaft fordert, während jeder noch so triviale oder nötige Einkauf durch ihn abgesegnet werden muss. Die Theorie gleichzeitiger privater Dramen bei der Belegschaft über Jahre hinweg scheint mir doch ein klitzekleines bisschen fragwürdig.
Ok, das mag sein. Aber was hat das alles mit Marketing zu tun?
Alles und Nichts. Aber in umgekehrter Reihenfolge. Zunächst einmal hat das rein gar nichts mit Marketing zu tun. Es geht erst einmal darum, seine Mitarbeiter über die Jahre nicht zu vergraulen. Im Ernst: Niemand stellt neue Leute ein, die er für dämlich, fachlich und sozial inkompetent und Eigennutzen maximierend hält. Sollte das jemand tun, würde ich eine Psychotherapie empfehlen. Und ebensowenig möchte jemand, dass sich die ehedem motivierten, kompetenten und am Wohl des Unternehmens interessierten Mitarbeiter so entwickeln, dass sie am Ende bestenfalls Dienst nach Vorschrift schieben. Es geht also zunächst einmal darum, das Transformationsproblem der Arbeit zu lösen. Sprich: die Differenz zwischen Leistungspotenzial und tatsächlich erbrachter Arbeitsleistung und Produktivität möglichst zu minimieren. Erst dann hat die Demokratisierung etwas mit Marketing zu tun – dann aber ziemlich viel.
Inwiefern?
Erstens werden Mitarbeiter umso mehr kostenfreie Mund zu Mund Propaganda über den eigenen Arbeitgeber betreiben, je zufriedener sie mit der Arbeitsstelle sind. Eine Kollegin von mir macht gerade lausige Erfahrungen mit ihrem momentanen Arbeitgeber. Da wird sie bestimmt nicht rumlaufen und allen Freunden und Freundinnen und allen Bekannten erzählen, wie großartig die Arbeit dort ist. So, und jetzt denken Sie mal wie diese Ausbreitung von Information heute läuft. Erzählt die das ihren Freunden nur persönlich, von Angesicht zu Angesicht? Oder postet sie das nicht vielmehr bei Facebook? Über den dann potentiell einsetzenden Schneeballeffekt muss ich jetzt sicherlich nichts mehr sagen. Das ist jetzt aber nur ein Fall. Jetzt gehen Sie mal von 100, 500 oder 5000 Mitarbeitern aus. Kurzum: Wer seine Mitarbeiter vergrault schießt sich mit einer Kugel erfolgreich durch beide Knie gleichzeitig. Und jetzt drehen Sie das ganze mal um: Von Ihren 249 Mitarbeitern sind 167 total begeistert von Ihnen als Arbeitgeber, 43 sind sehr zufrieden und 20 immerhin noch zufrieden. Zumindest die ersten beiden Gruppen, also immerhin 210 Arbeitnehmer laufen im Feierabend durch die Gegend und werden mit hoher Wahrscheinlichkeit von ihren positiven Erfahrungen in ihrem Unternehmen liebend gerne berichten, und zwar nicht nur bei Facebook sondern auch öffentlich bei Twitter, weil sie ja im Gegensatz zu den Frustrierten keine Abmahnung befürchten müssen. Die werden definitiv für Sie die Werbetrommel rühren – kostenlos. Schließlich definieren wir uns alle zu einem guten Teil über die Arbeit – entweder, weil die so fürchterlich oder so großartig ist, natürlich mit allen Schattierungen dazwischen. Und vermutlich werben die dann auch gleich noch für ihre großartigen Produkte oder Dienstleistungen.
Na ja, damit wird aber doch das Marketing noch nicht ersetzt. Man muss doch auch Leute erreichen, die man nicht persönlich kennt und anspricht.
Kennen Sie alle Ihre Follower auf Twitter? Und vor allem: Deren Follower? Rechnen wir doch mal kurz: Nehmen wir kritisch an, dass nur die 167 total begeisterten aus dem Beispiel von eben bei Facebook für Ihr Unternehmen Werbung machen. Mal ganz vorsichtig kalkuliert haben die im Durchschnitt 150 Freunde. Macht im ersten Schritt eine Reichweite von gut 25.000 Personen. Und die haben ebenfalls wieder 150 Freunde. Dann sind wir bereits bei irgendwas um die 3,8 Millionen. Das war Facebook. Twitter sieht ganz anders aus. Da sind mehrere Hundert Follower nichts besonderes. Bleiben wir konservativ und vermuten jeweils 350 Follower. Dann macht das in Summe eine potentielle Reichweite von – Moment – ungefähr 20,5 Millionen.
Herr Dr. Zeuch, mit Verlaub, das ist doch eine Milchmädchenrechnung. In dem Beispiel hat jetzt jeder der Begeisterten Mitarbeiter Werbung gemacht.
Ich sagte doch eben: „potentielle Reichweite“. Natürlich ist das keine Garantie, dass jeder Werbung macht. Das wird auch nicht passieren. Aber dabei sollten Sie zweierlei bedenken: Sie haben erstens dafür nicht einen einzigen Cent ins Marketing investiert. Und zweitens ist die Bewerbung durch begeisterte Mitarbeiter allemal glaubwürdiger, als wenn sie wie Apple ständig Anzeigen schalten und Plakatwände aufstellen, auf denen zu lesen ist: „Das beste iPhone aller Zeiten.“ Und was kommt danach? „Das megabeste iPhone aller Zeiten auch vor dem Urknall“? Jeder, der nicht vollkommen vernebelt ist, weiß, dass es kein bestes Smartphone gibt. Es ist immer eine Frage der persönlichen Anforderungen und des Geschmacks.
Jetzt haben Sie sich aber gerade selbst auf dünnes Eis begeben. So ziemlich jeder weiß auch, dass Apple eines der erfolgreichsten Unternehmen weltweit ist.
Ja. Na und? Erstens: Welche deutschen KMU verfügen über den Werbeetat von Apple? Ich habe niemals gesagt, Marketing würde nicht wirken. Zweitens: Wie lange wird das noch gut gehen? Das erste iPhone wurde im November 2007 eingeführt. Wir reden also über eine nicht einmal zehnjährige Erfolgsgeschichte. Drittens habe ich natürlich nur pointiert. Ich habe nicht dazu aufgefordert, das Marketing sein zu lassen. Es wäre aber gerade auch aus Marketingsicht ziemlich dumm, nicht dafür zu sorgen, dass die Belegschaft morgens gerne aufsteht und zu Ihnen ins Büro oder die Fabrik kommt. Wir Menschen unterscheiden uns von Affen, weil wir auch um ein paar Ecken denken können. Geld sparen beim Personal heißt am Ende des Tages einen geringeren wirtschaftlichen Erfolg, weil sie weniger Gewinne einstreichen und gleichzeitig mehr Kosten erzeugen durch Krankheitsfehltage und erhöhte Fluktuation. Das ist die affengleiche „Geiz ist geil“ Logik. Einfach nur Kosten senken. Ohne zu sehen, welche indirekten Folgekosten dadurch entstehen und was nicht erwirtschaftetet wird.
Herr Dr. Zeuch, vielen Dank für das Gespräch.